„Es ist, als ob du eine Petersilie ausziehst, und sie zum Lorbeer setzt. Es ist so schwer, dann groß und stark zu werden.“- das antwortet Nadja Klier auf die Frage, wie es ihr nach der Zwangsausbürgerung aus der DDR nach West-Berlin erging. Nadja Klier (geboren 1973) und ihr Partner Ingo Hasselbach (geboren 1967) sind beide in der DDR aufgewachsen, jedoch in völlig unterschiedlichen Familien: Während Ingo Hasselbach in einer DDR-treuen Familie groß wird, erfährt Nadja Klier das Gegenteil. Als Tochter der DDR-Bürgerrechtlerin Freya Klier, die wiederholt Kritik an der DDR äußerte, gerieten sie und ihre Familie ins Visier der Stasi. Ingo Hasselbach wurde zum einen wegen des Ausrufs: „Die Mauer muss weg!“ mehrmals inhaftiert, zum anderen, weil er ein Punk war. Das allein reichte aus, um als Staatsfeind im Gefängnis zu landen. In seiner langen Haftzeit ohne viel Kontakt zu seiner Familie und Freunden, radikalisierte er sich und wurde nach dem Mauerfall ein aktives Mitglied der Neonaziszene. Nach seinem Ausstieg gründete er die Organisation „Exit“ mit, um anderen Neonazis bei ihrem Ausstieg zu helfen. Nadja Klier arbeitet zurzeit an einer interaktiven Wissensplattform namens „DDR-Box“, durch die sie digital auch Jüngeren hilft, Geschichte zu verstehen. Gemeinsam besuchen die beiden als Zeitzeugen Schulen, um den Schülern von ihren prägenden Erlebnissen zu erzählen, und bringen somit Geschichte hautnah ins Klassenzimmer.
Vor wenigen Tagen kamen Nadja Klier in Person und Ingo Hasselbach über den Bildschirm nach Rottweil, um den Schülern der Klassenstufe 10 des Albertus-Magnus-Gymnasiums von ihren Geschichten zu erzählen und Fragen zu beantworten. Dies wurde durch die Konrad-Adenauer-Stiftung Stuttgart und das Engagement der Geschichtslehrerin Michaela Gerhardt ermöglicht.
Zur Vorbereitung wurde der Film der beiden Zeitzeugen „Wir wolln Euch mal wat fragen!“ gezeigt, danach kamen die Schüler mit ihnen ins Gespräch. Trotz der lockeren Atmosphäre zwischen den Referenten und den Schülern war den Jugendlichen die Betroffenheit deutlich anzumerken, als sie aufmerksam den Worten von Nadja Klier und Ingo Hasselbach folgten. Ingo Hasselbach berichtete unter anderem von seiner Inhaftierung in den Gefängnissen der DDR und den Methoden des Regimes, „politische Gegner“ physisch und psychisch zu brechen. Nachdem Nadja Klier aus ihrem Buch „1988 Wilde Jugend“ vorgelesen hatte, war es zunächst still im Klassenraum. Den Schülern ging durch den Kopf, wie es wohl wäre, sein gesamtes Leben von heute auf morgen zurücklassen zu müssen und durch eine Mauer von seinen Freunden getrennt zu sein. Nadja Klier erzählte auch davon, wie ihre beste Freundin nach ihrer Ausbürgerung anfing, sie zu bespitzeln, weil ihr von der Stasi die Aussicht darauf gegeben wurde, sie dadurch schneller wiedersehen zu können.
Nach dieser lebendigen Geschichtsstunde verließen die Schüler das Klassenzimmer tief beeindruckt von den Erlebnissen von Nadja Klier und Ingo Hasselbach. Und reicher geworden um die Einsicht, dass es ein Privileg ist, in einer demokratischen Gesellschaft frei von Unterdrückung zu leben.
Nachdem Freya Klier den Geschichtsunterricht am AMG über viele Jahre mit ihren Vorträgen bereichert hat, freut sich die Schulgemeinschaft nun darüber, dass diese Tradition in den Besuchen von Nadja Klier und Ingo Hasselbach ihre Fortsetzung findet.
Cosima Haller und Helena Schwarz